Unmittelbar neben der Auffahrt von der Monterey Street auf die U.S. Route 101 in der Stadt San Luis Obispo, Kalifornien, stehen die Überreste des Milestone Mo-Tel (oder Motel Inn), des ersten „Motorhotels“ der Welt. Der im Mission-Revival-Stil errichtete Komplex diente von 1925 bis 1991 als Unterkunft für Autofahrer auf der Strecke zwischen Los Angeles und San Francisco. Nachdem das Motel jahrelang nicht mehr genutzt wurde, wurde es 2006 größtenteils abgerissen. Heute findet man einen erhaltenen dreistöckigen Glockenturm und die typischen Stuckarkaden, die die renovierten, aber ungenutzten ehemaligen Büroräume umschließen. Ein paar Schritte weiter, entlang des ursprünglichen Grundrisses, steht ebenfalls ein Mauerstück, die gealterte Fassade des ehemaligen Restaurants des Motels. Sie ist cremefarben, etwa fünf Meter breit und ein Stockwerk hoch. Von allen anderen Teilen des Gebäudes abgetrennt, wird sie an dessen Stelle von fünf, an Holzstreben befestigten Metallstangen gestützt. Wenn man auf den Highway auffährt, kommt man an diesem merkwürdigen Fragment südkalifornischer Baukunst aus dem frühen 20. Jahrhundert vorbei – mit seinem Bogen, ein paar Terrakotta-Dachziegeln, einem großen Fenster und einem stilisierten Glockenturm –, alleine auf einem verlassenen Grundstück, wie die einzige Säule, die an der Stelle eines antiken griechischen Tempel stehen geblieben ist.
Die Mauer gehört nicht zu einem offiziellen historischen Ort, sondern existiert seit über einem Jahrzehnt als isoliertes architektonisches Reststück, das manipuliert wurde, um als eine Art struktureller Ausschnitt gezeigt zu werden. Die meisten Denkmalschutzprojekte in den Vereinigten Staaten laden in irgendeiner Form zur näheren Betrachtung ein – dieses Objekt ist eingezäunt und wird in der Regel im Vorbeifahren mit 90 Stundenkilometern nur flüchtig wahrgenommen. Die Mauer konserviert nicht so sehr, vielmehr deutet sie etwas an – und eben das fordert eine andere Art der Betrachtung
Wenn ich an Thea Moellers künstlerische Arbeit denke (die ich erstmals 2015 kennengelernt habe), ist dieses bauliche Überbleibsel das erste, was mir in den Sinn kommt. Moellers bildhauerische Praxis umfasst Objekte, die in verschiedene Arten der Spannung oder des Gleichgewicht versetzt werden, die anders gezeigt, mit kleinsten Veränderungen versehen werden, und Objekte, die in veränderten Zusammenhängen neu untersucht werden, oft im Raum einer Galerie mit weißen Wänden. Bei der Betrachtung ihrer Kunst stellt sich unweigerlich die Frage, wie physische Versatzstücke mit und in einem neuen Kontext interagieren.
Aus meiner Perspektive als Lehrender der Kunstgeschichte mit Fokus auf Los Angeles, tendiere ich dazu, die Assemblage der 1950er und 1960er Jahre zum Vergleich mit Moellers Verfahren heranzuziehen. Das Sammeln und Wiederverwenden, das ihrer skulpturalen Praxis innewohnt – manchmal für den sofortigen Gebrauch, manchmal für die richtige Gelegenheit aufbewahrt – erinnert mich an die Geschichten von Betye Saar, die Flohmärkte durchkämmte, oder von Ed Kienholz, der Schrottplätze besuchte, um die Gegenstände zu finden, die sich in Bestandteile der späteren Kunstwerke verwandeln würden. Und es gab zu jener Zeit auch Künstler aus Los Angeles, die industrielle Materialien modifizierten (so wie Moeller Gummi, Blech und Stahl verwendet hat) oder sich in ähnlicher Weise wie sie zwischen dem Maßstab der Galerie und dem anderer Architekturen bewegten, wie etwa Noah Purifoy. Die Assemblage-Arbeiten dieser Epoche wurden aber viel stärker „assembled“, in Konfigurationen, die die einzelnen Elemente transformierten. Moeller platziert die Komponenten eher, als dass sie etwas konstruiert – indem sie sie neigt, zieht, ausbalanciert, anders anordnet oder, im äußersten Fall, eine minimale Anzahl von Verbindungen zwischen ihnen verschweißt oder Lack aufträgt. Die Leichtigkeit in ihrer Herangehensweise deutet die Möglichkeit eines nächsten Schrittes an, in den die Besucher der Galerie noch nicht eingeweiht sind. Damit soll nicht suggeriert werden, dass sich eines Tages alle ihre Skulpturen zu einem Megakunstwerk zusammenfügen werden, sondern dass man beim Betrachten von Moellers Ausstellungen die gegenwärtige Situation erfasst und sich fragt, ob dies der finale Zustand dieser Kunstwerke ist. Analog zur Motelwand stellt man sich etwas Zukünftiges ebenso vor wie das, was man präsentiert bekommt.
Zurück auf dem Highway gibt es weitere solche Fälle, in denen man sich Attraktionen am Straßenrand nähert oder sie passiert. Die „world’s largest“ Was-auch-immers in der Wüstenlandschaft ziehen Aufmerksamkeit auf sich, ihrer Besonderheit wegen, ohne jedoch in irgendeiner besonderen Beziehung zur nächsten „Sehenswürdigkeit“ zu stehen. Da die Straße eher eine unredigierte Sammlung von Kurzgeschichten als ein Roman ist, betrachtet man jedes „must see“ für sich, vor allem mit fortschreitender Zeit. Mehrere Fahrten durch Kansas oder ähnlich flache Landstriche regen zum Nachdenken über „was wäre wenn“-Situationen an. Könnte das riesige Garnknäuel schlussendlich wegrollen? Was passiert hier, wenn jemand anderswo eine noch gigantischere Pistazie herstellt? Aber die Attraktionen, die in der Einfachheit ihrer Gesten Moellers Skulptur ähneln – der Positionierung, der Aufhängung, – werfen die meisten Fragen auf. Seit die Gruppe Ant Farm zehn alte Cadillacs mit der Nase voran schräg in ein Feld in Amarillo, Texas, gesteckt hat, werden die Autos regelmäßig neu lackiert und mit Graffiti beschmiert, und sehen bei jeder Fahrt anders aus. Wann wird einer von ihnen endlich umkippen, von einer Sturzflut weggespült oder gestohlen werden? Während Twin Arrows, Arizona, verlassen wurde, standen seine beiden monumentalen rot-gelben Holzpfeile (jeder siebeneinhalb Meter hoch) als Wahrzeichen so da, wie sie es seit Jahrzehnten getan hatten. Dann stürzte einer von ihnen schließlich um, was viele wahrscheinlich schon erwartet hatten. Auch heute, wenn man den verwitweten Pfeil sieht, der sich noch hält, während der andere flach daneben liegt, möchte man spekulieren: Wird ihn jemand wieder aufstellen? Oder wird er einfach so liegen bleiben und erodieren?
Anthony Carfello