I’ll tell you what I want, what I really, really want, so tell me what you want, what you really, really want.1
Ab Mitte der 1990er Jahre prägte der US-Fernsehsender Nickelodeon mit seinen spektakulären Live-Action-Shows, Zeichentrickserien und Sitcoms Kindheitserinnerungen auch im deutschsprachigen Raum. Als eigener Sender existierte er in Deutschland zunächst nur bis 1998, startete 2005 dann erneut und ist mit „Nick Austria“ seit 2006 auch auf dem österreichischen Markt vertreten. Erdacht als eine Welt für und von Kindern wurde der private Kanal bereits Ende der 1970er, der große Erfolg, die globale Expansion und Hyper-Kommerzialisierung stellten sich schließlich ab den 90ern ein. Seitdem wurden abertausende Merchandise-Artikel, zwei Freizeitparks und Themenhotels produziert.
Der rotierende Konvexspiegel am Beginn von Ellen Schafers Ausstellung „Nickelodeon Universe“ verortet die Besucher*innen als diejenigen, die (sich) beobachten und zugleich beobachtet werden. Vor den Augen des omnipräsenten Anderen werden sie Teil eines Universums, indem das kommerzielle Kids-TV als Metapher einer allumfassenden neoliberalen Logik fungiert. Die Wahrnehmung durch den Spiegel wird getrübt durch ein sich endlos wiederholendes „I like it… it likes me“, das per Hand auf der Vorderseite des Spiegels eingraviert ist. In Anlehnung an einen Seven Up-Slogan markiert Schafers „Mirror“ ein Verhältnis zur Welt, das sich in Konsum und Selbstbestätigung konstituiert. In dieser Welt werden Gefühle wie Befriedigung, Genuss, Begeisterung oder Aufregung zu zentralen Kategorien des Handelns.
Das Navigieren durch die Welt offenbart sich als ein Prozess der Kommodifizierung2, in dem Identität zur Ware wird. Für „Billa Plus“ modifizierte Schafer einen Einkaufswagen der mittlerweile nicht mehr existierenden Merkur-Supermarktkette und fügte eine Frontplakette mit dem Grundriss der „Mall of America“ in Minnesota bei, dem mit jährlich 42 Millionen Besucher*innen größtem Einkaufzentrum der Welt. Sowohl dort als auch in der Megamall „American Dream“, die, mitten in der globalen Pandemie, 2020 in New Jersey eröffnete, findet sich ein „Nickelodeon Universe“-Vergnügungspark. Schafer wuchs selbst im New Jersey der 1990er auf, einer Zeit, in der das „Ende der Geschichte“3 verkündet wurde und sich ein „kapitalistischer Realismus“4 endgültig durchsetzte. Die Erfahrung der Millennials in einer rundum vermarkteten Lebenswelt sozialisiert zu werden, findet auch Ausdruck in der von Schafer gestalteten „Sponsoren“-Tapete, deren Markenlogos vertraut wirken, obwohl sie von der Künstlerin, gemeinsam mit der Designerin Ella Gold, neu entworfen wurden. Sie zitieren Stile, die Unternehmen als einzigartig darstellen und ihnen Wiedererkennungswert verleihen sollen.
Der Maßstab des Besonderen gilt nicht nur für die vorgebliche Authentizität gefragter Waren, sondern auch für die individuelle Selbstdarstellung. Die gelungene Ausstattung der eigenen Persönlichkeit mit besonderen Dingen und Erlebnissen wird im kapitalistischen Realismus zur Richtschnur eines erfolgreichen Lebens. Als ein solches, ultimatives Ereignis lässt sich das „Sliming“ verstehen, das zur absoluten Trademark der „Nickelodeon“-Welt wurde. Etliche Celebrities wie Teilnehmer*innen wurden in verschiedenen Shows mit der schleimigen, grünen Masse begossen. Als individuelle oder kollektive Erfahrung kann sie ebenso Erniedrigung in einem Moment des Scheiterns sein wie auch Freude und Feier ausdrücken. Die Popularität des Events führte zu zahlreichen, kaufbaren „Slime“-Dingen und Erlebnissen, von Spielzeug über Frühstückszerealien zu Hotels mit Möglichkeit, sich „slimen“ zu lassen. Das grün gefärbte Licht im letzten Raum von Schafers Ausstellung ist Referenz auf das Begehren, selbst Teil der Gesellschaft des „Slime“-Spektakels zu werden. Über die QR-Codes der Tapete sind kurze animierte Grafiken verfügbar, die die maßlos übertriebenen Inszenierungen zeigen5. In einer Zeit, in der die „subjektive Erfülltheit als ein Phantasma scheint, dem das reale eigene Leben […] kaum je genügt”6 wirken gerade Kindheitserinnerungen der heute erwachsenen 90s-Kids kompatibel. Das Infantile prägt das Wesen eines „kapitalistischen Surrealisten“, der „das System nicht vernünftig akzeptieren [möchte], mit der Option, das Akzeptable eventuell vom Inakzeptablen zu trennen, er möchte es vielmehr auf die Spitze treiben. Der kapitalistische Surrealist empfindet sich nicht als Erwachsener, der sich vernünftigerweise mit etwas abfindet, sondern als spielendes Kind, das ungehemmt seinen Experimentier- und Zerstörungsdrang auslebt“.7 Mark Fisher prägte dafür den Begriff der „depressiven Hedonie”8, eine Kondition, die sich nicht wie bei einer Depression üblich als Unfähigkeit, Genuss zu empfinden äußert, sondern im Gegenteil als Unmöglichkeit, etwas anderes als Genussbefriedigung zu tun.
Ein nickelbeschichteter Schmuckhalter aus Messing befindet sich als Objekt an der Wand, an dem eine eigens entworfene, silberplattierte Kette mit dem sich wiederholendem Schriftzug „Amaze Within a Maze“ befestigt ist. Sie imitiert Modeschmuck, mit dem meist der eigene Name als sichtbares Accessoire getragen wird. Die Details der 90er stehen sinnbildlich für eine Zeit in der das Bild von grenzenlosen Möglichkeiten zu bröckeln beginnt.9 Steigende Ungleichheiten und Krisen bei gleichzeitigem Abbau von Sicherheiten beschwören heute Formen von Nostalgie herauf, die sich jedoch zumeist nicht auf tatsächliche Ereignisse oder Kulturprodukte richtet, sondern lediglich auf den Konsum derselben. Die Sehnsucht zielt auf eine Vergangenheit, die zitier- und samplebar wird. Sie lässt die Gegenwart als ein “unaufhaltsames Erodieren von Zukunft”10 erscheinen. Die Reflektionen und verblassenden Bilder von „Esprit !, Esprit !!, Esprit !!!“ bringen die Dissonanz zwischen dem gesellschaftlichen Versprechen auf ein gutes Leben und der Realität, in der sie keine Erfüllung findet, zum Ausdruck. Schafer verarbeitet in ihrer künstlerischen Praxis die Überreste einer Konsumkultur, die sich im zunehmenden Zerfallsstadium befindet und macht das Auflösen ihrer Verheißungen sinnlich erfahrbar. Sie verweist darauf, wie gesellschaftliche Begehren unaufhörlichen produziert werden und doch immer unerfüllt bleiben; oder wie Lauren Berlant formuliert: „how fantasies of belonging clash with the conditions of belonging in particular historical moments“.11
Juliane Bischoff
1 Spice Girls: „Wannabe“, 2:53min, 1996.
2 Vgl. Karl Polanyi (1978): The Great Transformation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
3 Vgl. Francis Fukuyama (1992): Das Ende der Geschichte. München: Kindler.
4 Mark Fisher (2013): Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Eine Flugschrift. Hamburg: VSA.
5 Diese sind auch direkt über die von der Künstlerin gestalteten Webseite zur Ausstellung abrufbar: www.slime-time.net.
6 Andreas Reckwitz (2020): Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Bonn: BpB, S. 204.
7 Markus Metz/Georg Seeßlen (2018): Kapitalistischer (Sur-)Realismus. Neoliberalismus als Ästhetik, Berlin: Bertz + Fischer.
8 Mark Fisher (2006): Reflexive impotence. In: k-punk, 11.04.2006, verfügbar unter: www.k-punk.abstractdynamics.org/archives/007656.html [17.10.2021].
9 Vgl. Reckwitz (2020), S. 18f.
10 Mark Fisher (2015): Gespenster meines Lebens. Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft. Berlin: Edition Tiamat,
S. 24.
11 Earl McCabe (2011): Depressive Realism: An Interview with Lauren Berlant. In: Hypocrite Reader, 6.5: Realism, verfügbar unter: www.hypocritereader.com/5/depressive-realism/ [17.10.2021].