Die Serie Meters of Colors ist die jüngste Entwicklung in Philipp Fleischmanns künstlerischer Erforschung des Verhältnisses zwischen Raum und Zeit, Standbildern und be-wegten Bildern.
Diese Serie besteht aus fotografischen Objekten mit ungewöhnlichen Formen, einige davon sehr lang und/oder ebenso schmal, und sind, wie ihr Titel wörtlich zum Aus- druck bringt, auf Fotopapier belichtete „Meter von Farben“. Genauer gesagt handelt es sich um Filmstreifen, die einer farbigen Lichtquelle ausgesetzt werden und von denen Fleischmann später die Perforationen an der Seite entfernt. Die Dimensionen der „Meters of Colors“-Objekte hängen strikt von der Länge des Films ab, der zunächst vom Künstler in eine Form gebracht und dann direkt auf das Fotopapier gelegt wird. Fleischmanns Untersuchungen drehen sich genau um die untrennbare physische Korrespondenz zwischen der Fotografie und ihrem Referenten (in diesem Fall dem Filmstreifen). Die Titel der Fotografien – um genau zu sein, der Fotogramme –, zum Beispiel Five Meters of Green oder Nine Meters of Vinaccia, spielen in der Tat auf ihren Referenten an, nämlich genau fünf Meter grün gefärbten Films und neun Meter weinrot gefärbten Films, was Fleischmanns Interesse an einem spezifischen Aspekt des fotografischen Mediums offen- bart, wie Krauss es ausdrückt, seiner „indexikalischen“ Natur.[1]

Um die konzeptionelle Tragweite von Meters of Colors zu verstehen, ist es jedoch notwendig, einen Schritt zurückzutreten und einige der wichtigsten Etappen von Fleischmanns Recherche nachzuvollziehen. Indem er den Ausstellungsraum als ein Feld von Möglichkeiten betrachtet und insbesondere die Sprache des Films verwendet, schafft der Künstler Umgebungen für komplexe Medienerfahrungen. Skeptisch gegenüber dem Kino der Repräsentation, das nur einen kleinen Teil des expressiven Potenzials des Mediums ausschöpft, nutzt Fleischmann den analogen Film mittels handgefertigter Kamerageräte, um „das Medium sich selbst ausdrücken zu lassen“.[2] Daraus resultieren seine Filmskulpturen, Arbeiten, in denen das Medium Film in verschiedenen Formen und Zuständen gleichzeitig artikuliert und erfahren wird: vom Gerät über den Filmstreifen bis hin zu den projizierten Bildern. Die empfindliche Oberfläche des Films wird nicht als Träger benutzt, sondern in ihrer reinen Materialität und ihrer Fähigkeit, Licht zu inszenieren, hervorgehoben, was an die filmischen Experimente der Neuen Sachlichkeit erinnert, allen voran an Laszlo Moholy Nagy, dessen berühmtes Werk Painting, Photography, Film Fleischmann als wichtige Referenz diente.[3]

Darüber hinaus stellen die Filmskulpturen die vom Kino auferlegten Regeln des Geschichtenerzählens in Frage und schlagen alternative Wege zur frontalen und traditionellen Filmerfahrung vor, indem sie zum Nachdenken über die vielfältigen Möglichkeiten des abstrakten Films als Ausdrucksmittel für queere Sensibilitäten (Queer Abstraction)
anregen, ein kritisches Denken, das sich an den Schriften von David J. Getsy [4] orientiert. Zurück zu Meters of Colors wird nun deutlich, wie die Erfahrung mit den Filmskulpturen den Künstler nach und nach dazu brachte, die Beziehungen zwischen unbewegten und bewegten Bildern sowie die materiellen Aspekte von Film und Fotografie zu erkunden.
Was die Entfernung der Perforationen an der Seite des Filmstreifens, der so genannten „Sprocket Holes“, betrifft, so zeugt diese einfache Geste von einem Bewusstsein für eine Praxis, die aus einer medienhistorischen Perspektive interpretiert werden kann. Dem Künstler zufolge lässt sich das Wesen der Ästhetik des gegenständlichen Kinos auf die materielle Tatsache der Perforationslöcher zurückverfolgen; sie in der statischen Fotografie sichtbar zu lassen, würde das Risiko einer fetischistischen und irrigen Interpretation der Praxis des Künstlers mit sich bringen, die weit davon entfernt ist, den Tod des analogen Kinos zu betrauern, sondern vielmehr eine technologische Gegenwart widerspiegelt, der die Vergangenheit ein integraler Bestandteil ist, und sie selbst das Ergebnis komplexer kultureller Schichtungen.[5]

Befreit von den Beschränkungen der Perforationslöcher, gibt sich Fleischmann dem Film als reinem Träger der Farbe hin und benutzt ihn als Körper, der sich frei im Raum bewegt und seine Spuren auf dem Fotopapier hinterlässt, das dann den Ausstellungsraum mit einer gewissen Freiheit bewohnt. Die Meters of Colors, die aufgehängt, aber nicht gerahmt sind, sind verführerische Objekte, und ob- wohl sie das Ergebnis eines fotomechanischen Prozesses und des Arrangierens durch den Künstler sind, laden sie die Betrachter*innen ein, sich ihrer großzügigen Materialität hinzu- geben und in sie einzutauchen; ihre unmerklichen oszillierenden Bewegungen erinnern an die von Rosalind Krauss vorgeschlagene Interpretation von Marcel Duchamps Großem Glas (1915–1923). Nach der Lesart der Kritikerin wären die „Durchzugskolben“ – drei unregelmäßige quadratische Löcher in einer Wolke, die sich im oberen Teil des Großen Glases befindet – die wörtliche Übertragung von drei Stoffstücken, die von einem Durchzug bewegt werden. So wie wir im Fall des Details der drei Kolben in einem der kryptischsten und erotischsten Werke der Kunstgeschichte des 20. Jahr- hunderts nicht umhin können, uns über die physische Beziehung zu seinem Referenten zu fragen, so stellen auch Fleischmanns Meters of Colors mit ihrer Präsenz und Allgegenwärtigkeit die verführerische Anziehungskraft der Materie und das Mysterium des Schreibens mit Licht wieder her.

Chiara Agradi

Chiara Agradi ist Kuratorin und Kunsthistorikerin und lebt in Paris. Ihr hauptsächliches Forschungsgebiet ist das Medium der Fotografie. In letzter Zeit hat sie Projekte für Fondation Cartier, Triennale di Milano, Palazzo Barberini und artgenève kuratiert.

[1] Rosalind Krauss, Le photo- graphique, pour une théorie des écarts, Macula, 2022, S. 91–110.
[2] Gespräch zwischen Chiara Agradi und Philipp Fleischmann, März 2024
[3] Somaini Antonio (Regie), Laszlo Moholy Nagy, Pittura Fotografia Film, Einaudi, 2010
[4] Siehe z. B.: David J. Getsy,
„Ten queer theses on abstraction“, in Jared Ledesma et al., Queer Abstraction, Kat. Ausst. ( Des Moines: Des Moines Art Center, 2019), 65–75.
[5] Die Anhänglichkeit an veraltete Medienpraktiken wird von Jussi Parikka pointiert dargelegt, der diese Phänomene von „Retrokul- turen“ mit der Zuneigung eines großen Teils der Bevölkerung zu Medien begründet, deren Nutzung seit Jahrzehnten in die Haushalte eingedrungen ist; das Kino fällt ebenso wie die Sofortbildfotografie perfekt in diese Medienkategorie. Vgl. Jussi Parikka, What is media archeology, John Wiley & Sons, 2013, in der von Carocci Editore veröffentlichten italienischen Fas- sung S. 29–48.

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