Durchblick in die Utopie
Robert Lettner wurde im Mai 1943, zwei Jahre vor Kriegsende im südfranzösischen Internierungslager Gurs geboren. Seine Mutter, eine Kölnerin, war wegen ihrer widerständigen Haltung zu den Nationalsozialisten dort eingesperrt. Sein Vater hatte in Spanien gegen die von Hitler-Deutschland unterstützte Militärjunta Francisco Francos gekämpft und war schwerkrank über die Pyrenäen nach Frankreich entkommen. Der Antifaschismus, der Widerstand gegen alles Autoritäre, blieb zeitlebens ein bestimmender Faktor im Leben des Robert Lettner.
Im Jahr 1958 begann er in Wien eine Lehre zum Lithographen. Schon als Jugendlicher faszinierte ihn das Geheimnis der Bildwelten. Es gelang ihm 1965 an der Akademie am Schillerplatz aufgenommen zu werden, und bereits vier Jahre später wurden seine Bilder in der Galerie nächst St. Stephan gezeigt. Er blieb sein ganzes Leben lang ein politischer Mensch. Die selbstgerechte Gewalt der Bürgerkinder, die sich RAF nannten, verachtete er und decouvrierte sie mit seinen frühen Bildern. Er wollte Schönheit zeigen, auch wenn das der Kunstwelt so verwerflich erschien, um den Optimismus als jene Kraft zu wecken, die Widerstand gegen das Hässliche, gegen Diktatur und Unfreiheit leistet.
Das Werk von Robert Lettner hat zeit seines Lebens für Irritationen gesorgt. Kaum jemand konnte ihn einordnen, verstand die scheinbare Unterschiedlichkeit seiner Bilder. Wie geht politische Agitation mit abstrakter Malerei zusammen, wieso malt er Landschaft und Blumen, was haben Ornamente mit Photosynthese zu tun? Für Robert Lettner war die Diskussion um diese angebliche Disparität nicht nachvollziehbar. Seine Arbeiten waren allesamt von großer Kunstfertigkeit getragen, erhoben einen hohen ästhetischen Anspruch. Sie waren immer auch Ergebnis seines intensiven, lebenslangen Forschens an Strukturen, Sequenzen, kompositorischen Strategien wie auch an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Oft griff er Themen auf, die viel später erst Eingang in den Kunstdiskurs fanden. Sein Biograph Harald Kraemer schreibt: „Widerstand bedeutete für R. Lettner eine andauernde intellektuelle Auseinandersetzung, die zu neuen Bildfindungen führen und somit eine politische Wirkung haben sollte“.
Besonders in seinen Balkenbildern fließen viele Elemente der Lettnerschen Kunst zusammen. Beginnend von 1968 mit Unterbrechungen bis 2003 hat er sich mit dem Grundmotiv des Balkenbilds auseinandergesetzt. Die klaren Strukturen dieser Serie waren Basis für spätere Arbeiten, wie seine Blumen- und Landschaftsbilder, die Farbpartituren oder die Synthetischen Bildwelten. Lettner sprach oft von den Geheimnissen der Malerei, denen er auf der Spur war. Da ist der Blick in unergründliche Tiefen, in die Unendlichkeit, der immer mit dem Gefühl der Sehnsucht verbunden ist. Es ist die Utopie, die sich in einem schmalen Durchbruch erahnen lässt. Der Weg aus der realen Welt in eine andere ebenso reale, noch nicht erkämpfte Welt.
Das Unergründliche in der Malerei begleitete Lettner seit seinen frühen Jahren, als er zum Broterwerb Freskenmalereien in Kirchen restaurierte. Wie er Grenzen im Politischen sprengen wollte, so auch in der Begrenztheit des zweidimensionalen Bildes. Der weiße Balken, umrandet von einem aus dem Weiß hervorkommenden, irisierenden Blau und Rot verwandelt die Fläche in eine dreidimensionale Figur. Die Balken treten hervor, die Balken und Durchbrüche schaffen zugleich einen Sichtkanal in eine gesellschaftliche Utopie, in die uns Robert Lettner zeitlebens einladen wollte.
Peter Menasse