Im Rahmen des diesjährigen Curated by-Festivals präsentiert die Galerie WONNERTH DEJACO die erste europäische Einzelausstellung, die sich mit dem Werk der amerikanischen feministischen Künstlerin, politischen Satirikerin und Aktivistin Anita Steckel befasst, sowie eine Reihe von Lesungen der französischen Schriftstellerin Constance Debré und der britischen Künstlerin, Schriftstellerin und politischen Domina Reba Maybury. Die von der Autorin und Kuratorin Juliette Desorgues kuratierte Ausstellung LUST – ein Begriff, der sowohl Begehren als auch Spiel suggeriert – begreift sich als interdisziplinäres Programm, das drei Persönlichkeiten in einen generationenübergreifenden Dialog über Fragen von Macht, Geschlecht und Sexualität bringt.

Anita Steckel, eine Schlüsselfigur der New Yorker Downtown-Szene der 1950er und 60er Jahre, entwickelte ein Oeuvre aus fotografischen, collagen- und zeichnungsbasierten Arbeiten, das im Kontext der westlichen Frauenrechtsbewegung der 1970er Jahre seine Blütezeit erlebte. 1973 war sie Mitbegründerin des Kollektivs Fight Censorship mit anderen feministischen Künstlerinnen aus New York, wie Judith Bernstein, Louise Bourgeois, Joan Semmel und Hannah Wilke , einer Gruppe, die durch ihre gemeinsame Praxis sexuell expliziter Kunst vor dem Hintergrund des vorherrschenden Sexismus und Puritanismus im Kunstbetrieb zusammengeführt wurde.[1] Die in dieser Ausstellung gezeigten Werke stammen aus Steckels Archiv und Nachlass und umfassen fünf Jahrzehnte ihres reichen Oeuvres, von den 1960er bis zu den 2000er Jahren. Phallische Symbolik wird durchgängig als Chiffre systemischer patriarchaler Macht dargestellt, die Steckel sowohl als Objekt satirischer Absicht als auch als Apparat sexuellen Begehrens spielerisch unterläuft. Phallische Bilder werden durchgängig als Symbole systemischer Macht dargestellt, die Steckel sowohl als Objekt satirischer Absicht als auch als Apparat sexuellen Begehrens spielerisch unterläuft. Auch die monumentalen nackten Körper von Frauen werden als Zeichen sowohl für verletzliches Unbehagen als auch für emanzipatorische Befreiung eingesetzt.

Constance Debré und Reba Maybury werden am Eröffnungswochenende im Rahmen von Steckels Ausstellung neue und aktuelle Texte vortragen. Während Debré in ihrem eindringlichen Schreibstil ihr persönliches Leben, die Ablehnung institutioneller bürgerlicher Strukturen und die Erkundung ihrer queeren Sexualität schildert, agieren Mayburys Texte als konzeptuelle Manifeste ihrer Arbeit als politische Domina, in deren Mittelpunkt die Untergrabung traditioneller geschlechtlicher Machtverhältnisse durch und in der Sexarbeit steht.

In Resonanz mit dem feministischen literarischen und künstlerischen historischen Kontext in Wien, von Elfriede Jelinek bis Valie Export, konfrontiert jede dieser drei Stimmen die systemischen Mechanismen der Macht, legt ihre Strukturen offen und untergräbt ihre Verstrickungen mit humorvoller, roher und beißender Kraft. Das Selbst als gelebte und metaphorische Entität wird als Schlüsselbegriff eingesetzt, um umfassendere Fragen zu Sexualität und Geschlecht und insbesondere zur Rolle der Frau in der Gesellschaft zu thematisieren. Begehren, sowohl imaginiert als auch verkörpert, wird zu einem zentralen Stichwort, das als eine Form der unverhohlenen Störung der Hegemonie der normativen patriarchalischen Öffentlichkeit dient.

Die Ausstellung reagiert auf das Motto des diesjährigen Curated by-Festivals – „The Neutral“ – als Provokation. Im Kontext der derzeitigen sozialen und politischen Umwälzungen – von der jüngsten Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade in den USA bis hin zur Verweigerung der Rechte von Trans*personen in zahlreichen westlichen Ländern – wird jede Vorstellung von Neutralität entkräftet, wenn man die andauernden Kämpfe um die Herrschaft über Körper und die geopolitischen Folgen dieser Machtverhältnisse betrachtet. Doch was bedeutet es vor diesem Hintergrund, das Werk einer Feministin der zweiten Welle wie Anita Steckel in einer Zeit des „Heteropessimismus“, wie es die Schriftstellerin Asa Seresin formulierte[2], zu betrachten? In der Verweigerung von Ambivalenz als politische und verkörperte Haltung, die Steckels viel übersehenes Leben und Werk kennzeichnete, können Antworten gefunden werden.[3] Wie bei Steckel zeigt auch das Werk von Debré und Maybury, wie anstelle von Neutralität eine Position eingenommen werden kann – eine, die in mutiger Weise eine Selbstbestimmung behauptet, die den konservativen und repressiven Kräften ins Auge spuckt.

Danksagung

Mit herzlichem Dank an die Künstler und Galerien: Constance Debré, Hannah Hoffmann Gallery Los Angeles, The Estate of Anita Steckel, Reba Maybury, Ortuzar Projects New York; und den folgenden Personen für ihre wertvolle Unterstützung: Hugo Bausch Belbachir, Kévin Blinderman, Julie Boukobza, Steven Cairns, Flora Citroën, Alban Diaz, Cécile B. Evans, David Gyscek, Paul-Alexandre Islas, Axel Koschier, Ursula Mayer, Rachel Middleman, Kenta Murakami, Kari Rittenbach, Asa Seresin und Nicholas Tammens.

Künstlerinnen-Biographien

CONSTANCE DEBRÉ ist eine französische Schriftstellerin, die in Paris lebt. Sie ist die Autorin mehrerer Romane: Playboy, Love Me Tender, Nom und Offenses. Love Me Tender wurde kürzlich von Semiotext(e) auf Englisch veröffentlicht. Ihre Bücher wurden auch ins Italienische, Deutsche, Dänische und Schwedische übersetzt.

REBA MAYBURY ist Künstlerin, Schriftstellerin und politische Domina, die manchmal unter dem Namen Mistress Rebecca arbeitet. Sie lebt und arbeitet in Jütland, Dänemark, und London, UK. In ihrer Arbeit erforscht sie die Spannung zwischen ihrer wahrgenommenen Stärke als Objekt einer transaktionalen Fantasie und der Art und Weise, wie sie durch die Realität von Sexarbeit und Gender versucht, diese Macht in etwas Greifbares zu verwandeln. Sie ist die Autorin von Dining with Humpty Dumpty (Wet Satin Press, 2017) und Faster than an erection (MACRO, 2021).

ANITA STECKEL (1930-2012) studierte an der Cooper Union und der Alfred University sowie an der Art Students League of New York, wo sie von 1984 bis zu ihrem Tod lehrte. Seit den frühen 1970er Jahren lebte sie im Westbeth Artists‘ Housing im West Village. Zuletzt waren ihre Werke in Einzelausstellungen in der Stanford Art Gallery, Stanford (2022), kuratiert von den Kunsthistorikern Rachel Middleman und Richard Meyer, und in der Hannah Hoffman Gallery, Los Angeles (2021) zu sehen. Zu früheren Ausstellungen gehören Legal Gender: The Irreverent Art of Anita Steckel, Jacki Headley Art Gallery, California State University, Chico und Verge Center for the Arts, Sacramento (2018); Anita of New York, The Suzanne Geiss Company, New York (2013); Anita Steckel and Friends, Westbeth Gallery, New York (2012); und Mom Art: 1963-1965, Mitchell Algus Gallery, New York (2008). Ihre Arbeiten wurden in letzter Zeit in folgenden institutionellen Ausstellungen gezeigt: Maskulinitäten, Bonner Kunstverein, Deutschland (2019); Cock, Paper, Scissors, ONE National Gay & Lesbian Archives, Los Angeles (2016); Black Sheep Feminism: The Art of Sexual Politics, Dallas Contemporary (2016); und Identity Crisis: Authenticity, Attribution and Appropriation, The Heckscher Museum of Art, Huntington, NY (2011). Sie wurde mit einem Pollock-Krasner Foundation Grant (2005), einem National Endowment for the Arts Grant (1983) und einem MacDowell Fellowship (1966) ausgezeichnet. Ihre Werke befinden sich unter anderem in den ständigen Sammlungen des Brooklyn Museum, New York, des Bryn Mawr College, Pennsylvania, des Edwin A. Ulrich Museum of Art, Wichita State University, Kansas, des Smith College Museum of Art, Northampton, Massachusetts, und der Verbund Collection, Wien.

Biografie der Kuratorin

JULIETTE DESORGUES ist Kuratorin und Autorin und lebt in Paris. Zuvor war sie Kuratorin am MOSTYN, Wales, und assoziierte Kuratorin am Institute of Contemporary Arts, London. Außerdem war sie in kuratorischen Positionen an der Barbican Art Gallery, London, und der Generali Foundation, Wien, tätig. Sie studierte an der Universität von Edinburgh, der Universität Wien und dem University College London.

 

[1] Fight Censorship Group “Women Artists Join to Fight to Put Sex into Museums and Get Sexism and Puritanism Out”, 1973

[2] “On Heteropessimism: Heterosexuality is nobody’s personal problem”, The New Inquiry, 9/10/2019, letzter Zugriff https://thenewinquiry.com/on-heteropessimism/ 28.07.2023.

[3] Siehe auch Wendy Vogel’s Blick auf Steckels Werk im Lichte der drängenden Fragen der Gegenwart: ‘Reconsidering Anita Steckel in the Age of Heteropessimism’, Mousse Magazine, Issue 82, February 2023.

 

 

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