Die Galerie Wonnerth Dejaco freut sich, FOR YOU, die zweite Einzelausstellung von Daniel Ferstl (*Linz, 1982), zu präsentieren.

Vor weniger als zwanzig Jahren wählte das Times-Magazin YOU zur Person des Jahres. Das berühmte Cover war all jenen gewidmet, die mit ihren anonymen und einsamen Inhalten ein zunehmend gefräßiges World Wide Web fütterten. Wir bewegten uns auf das tyrannische Ego zu, wie Eric Sadin die gegenwärtige Ära der sozialen Medien definiert, in der grenzenlose Ausdrucksfähigkeit und Selbstüberhöhung andauernd unmittelbares Feedback benötigen.[1]

Als atomisierte Wesen, die nicht einmal in der Lage sind, sich ein gemeinsames Projekt vorzustellen, nähren wir einen endlosen Allmachtswahn, um unsere mehr oder weniger große Bedeutungslosigkeit zu verbergen. Wir reiten auf einem Meteoriten, der mit großer Geschwindigkeit herabstürzt. Angesichts dieses Abgrunds, einer Art kollektiver Psychose, in der jedes einzelne Ich darum wetteifert, den anderen sein fiktives und sorgloses Selbst zu zeigen, schlägt Daniel Ferstl eine Oase vor, einen Zufluchtsort, an dem wir uns zumindest für ein Weilchen erfrischen können, indem wir uns der Sinnlichkeit der Leinwände und Farben hingeben, die uns umhüllen.

„Passive Progressive“ ist eine Collage aus Textilien, die Ferstl mit malerischem Feingefühl zusammenstellt. In den Textilien der Hintergründe kann man Bezüge zu Richters Stil erkennen, aber auch zu Polke, während verschiedene, in sauren Tönen gehaltenen Formen, vielleicht Blumen, wie Monets Seerosen schweben.

Die Arbeiten von Daniel Ferstl sind angenehm oberflächlich. Wir tauchen ein in lysergische Texturen und fühlen uns seltsam wohl, während wir von einem zum nächsten gehen und durch die reiche Palette von Stoffen gleiten, die die Polyphonie dieser Ausstellung bereichert. Der Künstler näht schematisierte Figuren auf einen sorgfältig ausgewählten Hintergrund. Er schafft es, das behagliche Gefühl zu erwecken, textile Oberflächen mit der Hand zu berühren, wie zu Hause auf dem Sofa oder in einer Boutique (eher im Westwood-Stil als im Valentino-Stil), wo wir gerne den Nachmittag verbringen würden, um zu trinken und zu scherzen.

In seinen Gemälden gibt es keine Malerei, es sind raffinierte, beinahe erzählerische, oft ikonische Kompositionen. Oberflächen, dazu geschaffen, um über sie mit einem taktilen Blick zu schweifen. Über die niedlichen kleinen Hunde, die hier und da auftauchen und sofortige Zärtlichkeit hervorrufen (es stimmt, sie funktionieren ein bisschen wie Katzen und andere Haustiere in den sozialen Medien…). Aber vor allem für die Patchworks aus herrlichen Stoffen, die Daniel Ferstl vorschlägt, manchmal gepolstert, manchmal in Bewegung, sehr ansprechend aus der Nähe zu betrachten, bis man sie anfassen kann, vielleicht um sie zu tragen oder sich auf sie zu legen und sie zu umarmen. Ich habe den Eindruck, dass der Künstler sich um den Betrachter kümmern will; ja, sogar um Sie. Der Titel der Ausstellung scheint dies anzudeuten. Aber können wir ihm vertrauen? Nicht zu sehr, nur ein kleines bisschen. Schließlich ist eine Oase nur ein kurzes Intermezzo inmitten der Wüste. Wir können nicht auf dem Sofa einer Boutique leben. Zu viel Ästhetik kann uns im wahrsten Sinne des Wortes auffressen, wie es bei Posh Doggo Skeleton der Fall ist. Aber das ist nicht wahr! Alles ist für Dich, es ist nur für Dich gemacht!!! Wir warten gemütlich auf Dich. „The World is Yours“ lesen wir am Ende von „Scarface“, wenn alle in einem Meer von Blut sterben, in dem der Traum des Protagonisten vom Ruhm, reichlich narkotisiert, versinkt, der in seinem Größenwahn der Beste war und den Thron erreicht hatte… In Brian de Palmas Film, gedreht in Miami, erinnert die Kleidung mit ihren grellen Stoffen vage an die Stoffe, die Daniel Ferstl in seinen ausgiebigen Recherchen bei Textil Müller geduldig ausgewählt hat, beeinflusst gleichzeitig von Bollywood-B-Movies wie auch einem Prince of Wales. Was Du eingespeist hast, Tag für Tag, kehrt in Form von Überwachung zurück, aber keine Sorge, der Algorithmus sorgt dafür, dass es Dir passen wird. Das außergewöhnliche Angebot ist für Dich. Nur für Dich.

Der Titel eines anderen Ferstl-Gemäldes lautet: “Imacramee / I want adventure in the great wide somewhere I want it more than I can tell and for once it might be grand to have someone understand I want so much more than they’ve got planned”Ein eleganter kleiner Hund bewegt sich zwischen feinen beigen Stoffen auf der Suche nach einem Begleiter, der nur für ihn gemacht ist. Das tyrannische Ich verlangt immer, was es verdient, nicht wahr? Das Unbehagen, das durch die unablässige Überwachung verursacht wird, oder die Angst, nicht das verdiente Feedback zu erhalten, ist der Preis, den man für den Exzess der Verbindung und den scheinbar endlosen Kontakt zahlen muss. Es fehlt an selbstlosem und solidarischem Austausch, es fehlt vor allem an der Freude an der Berührung (es sei denn, wir begnügen uns damit, mit Daumen und Zeigefinger über einen Bildschirm zu streichen, während wir von einem Schleier zum anderen gleiten, durch Schichten, die nie enden).

Der niedliche kleine Hund, der aus einem karierten Hemd herauslugt, wird von den allgegenwärtigen Marken bedroht; glänzende, verführerische Farben und viel Design in aufregenden Erinnerungen an glitzerndes Shopping. Stanley Cup, Prime Hydration oder Takis (nicht der kinetische Künstler) sind eingetragene Marken, Produkte, deren kraftvoller visueller Auftritt den Künstler interessiert.

Wählen wir Produkte, ohne zu wissen, warum? Tun Fans von Taylor Swift, die das Trikot von Travis Kelce, ihrem Freund und Football-Star, tragen, dies aus Solidarität mit dem Popstar? Oder aus dem Bedürfnis heraus, sich voll und ganz mit dem Objekt ihrer Begierde zu identifizieren, aus dem unbändigen Wunsch heraus, am Spektakel teilzunehmen? In einer Welt, in der alles ein Spektakel ist, ist es das Schlimmste, davon ausgeschlossen zu sein.

„Wir haben uns zu einer Gesellschaft entwickelt, die auf angewandter Statistik basiert, mittels derer ein Algorithmus sein Programm im Handumdrehen ändern kann, damit uns die intelligenten Geräte helfen können“,[2] alles ist für Dich, ja tatsächlich, nur für Dich.

Wir finden auch eine Reihe von Accessoires, begehrenswerte Objekte aus diesem Universum, das Daniel Ferstl für uns gewebt hat: Taschen und Hüte warten auf die Betrachter*innen. Sie können getragen werden und folgen damit dem Rat unseres kleinen Lieblingshundes, der nie ohne seine Uhr das Haus verlassen würde.
Ferstls Werke umhüllen uns und befreien uns ein wenig von der Notwendigkeit des Scheins, indem sie uns vom Schein an die Oberfläche bringen, was nicht dasselbe ist.

Endlich können wir berühren, unseren sorgenvollen Geist ausruhen, unseren Körper wiederentdecken, unsere Augen erfreuen, während wir die Oberflächen der Stoffe fühlen. Ein kleiner Motor dreht hypnotisch eine Hand, ein smile, eine Blume. Sie wiegen uns für eine Weile in einen Traum, der weniger delirierend ist als der von Scarface, jedoch mit Sicherheit erbaulicher.

 

Francesco Giaveri (übersetzt aus dem Italienischen)

 

 

[1] Tancredi Bendicenti, “Io Tiranno” Éric Sadin, Pandora Rivista, https://www.pandorarivista.it/articoli/io-tiranno-di-eric-sadin/

[2] Carolyn Christov-Bakargiev, Hito Steyerl – They Are Oblivious to the Violence of Their Acts. Windows, Screens and Pictorial Gestures in Troubled Times, https://www.castellodirivoli.org/hito-steyerl-carolyn-christov-bakargiev/

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